Stiftung ProJustitia

Studien zum Business Keeper Monitoring System


Geleitwort von Rechtsanwalt Alexander Keller,
Vorstandsvorsitzendem der Stiftung ProJustitia

Die Stiftung ProJustitia stellt eines ihrer Arbeitsergebnisse vor. Es handelt sich um einen ersten Schritt auf dem Weg, strukturelle Missstände im deutschen Strafverfahren aufzudecken und die Bürger vor unverhältnismäßigen Eingriffen (oder gar Übergriffen) der staatlichen Ermittlungsbehörden zu schützen.

In Kenntnis der Tatsache, dass sich zahlreiche Bundesländer mit dem Gedanken tragen, das zunächst nur im Land Niedersachsen als Pilotprojekt geführte BKMS (Business-Keeper-Monitoring-System) zu übernehmen, hat sich die Stiftung ProJustitia zur vorliegenden Untersuchung entschlossen, um die bundesweite Einführung dieses aus Sicht der Stiftung rechtlich – und insbesondere auch verfassungsrechtlich – höchst bedenklichen Ermittlungsinstrumentes zu verhindern.

Die Studie zeigt sehr konkrete Bedenken auf:
Das vom Land Niedersachsen betriebene Pilotprojekt macht aus einer als Grundlage für Ermittlungsverfahren eigentlich unerwünschten Ausnahme, nämlich einer anonymen Anzeige, ein System. Da anonyme Anzeigen häufig – die vorliegende Studie belegt dies ein weiteres Mal – als weitgehend wertlos und oft sogar als böswillig einzustufen sind, sollten diese mit besonderer Vorsicht bedacht werden, statt sie systematisch zu fördern. Erklärtes Ziel des BKMS hingegen ist es, auf dem Bodensatz überdurchschnittlich wertloser Behauptungen und Unterstellungen ein neues „Spitzenprodukt“ für die Strafverfolgung zu entwickeln. Nicht zu verantwortende Anzeigen – und damit dem Grundsatz nach auch nicht zu verantwortende Ermittlungen – werden hierdurch geradezu provoziert und zu einem Ermittlungssystem ausgebaut.
Der Verdacht, dass die systematische staatliche Förderung von Denunziation schlechtes Ermittlungsmaterial produziert, wird durch den aus der Studie hervorgehenden exorbitant hohen Anteil an Verfahren, die gem. § 170 Abs. 2 StPO (mangels hinreichenden Tatverdachtes) eingestellt oder in denen mangels Tatverdachtes erst gar kein Verfahren eingeleitet wurden, ausdrücklich bestätigt. Lediglich auf den ersten Blick mag es beruhigen, dass die „Verarbeitung“ der anonymen Strafanzeigen durch die Staatsanwaltschaft letztlich doch kritisch erfolgt. Nur so lässt sich der hohe Anteil einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO bzw. die in großem Umfang festgestellte Nichteinleitung von Verfahren mangels Anfangsverdachtes erklären. Dieser vorübergehend beruhigende Eindruck weicht jedoch bei der weiteren Lektüre der Studie sehr schnell erheblicher Beunruhigung:
Angesichts des sehr hohen Prozentsatzes eingestellter oder gar nicht eingeleiteter Verfahren muss es als höchst beunruhigend und rechtsstaatlich bedenklich gewertet werden, dass in einem nicht unerheblichen Teil der Ermittlungsverfahren Durchsuchungen, Beschlagnahmen sowie Finanzermittlungen durchgeführt wurden. Immerhin handelt es sich hier um massive Grundrechtseingriffe auf der Grundlage von überdurchschnittlich schlechtem Ermittlungsmaterial. Schon dieser Umstand zeigt, welche konkrete rechtsstaatliche Gefahr von diesem neu entwickelten Ermittlungsinstrument ausgeht.
Hinzu kommen die beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nachteile durch eine im Rahmen der Ermittlungsverfahren oder sogenannter Vorfeldermittlungen erfolgte Informationsbeschaffung im Umfeld des Verdächtigen. Sehr schnell geht hier die Unschuldsvermutung unter, wenn am Arbeitsplatz oder betriebsintern oder im Wohnumfeld der Betroffenen Befragungen oder sonstige Ermittlungen stattfinden. Hinzu kommt, dass in sehr vielen Fällen die Betroffenen gar nie erfahren, dass gegen sie ermittelt wurde, sie also auch gar keine Chance haben, die in ihrem Umfeld entstandenen Eindrücke zu berichtigen.
Ein weiteres Kernproblem von Ermittlungsverfahren, die auf äußerst dünner Tatsachengrundlage oder gar aufgrund haltloser Unterstellungen eingeleitet wurden, sind die späteren registerrechtlichen Folgen. Trotz keineswegs eindeutiger Rechtslage geht die Praxis der Staatsanwaltschaften derzeit dahin, alle Ermittlungsverfahren, die nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden, im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister zu speichern. Von dieser Handhabung wird selbst dann nicht abgewichen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass eigentlich von Vorneherein gar kein Anfangsverdacht vorgelegen hatte. In den meisten Fällen werden die gespeicherten Daten erst nach zehn Jahren wieder gelöscht. Dies gilt auch für die Registrierung im zentralen, länderübergreifenden staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister. Auf Anfrage werden diese Daten zahlreichen staatlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Selbst die Weitergabe an europäische Ermittlungseinheiten wie   „Olaf“ erfolgt ohne Probleme und ohne realistische Chance des Beschuldigten, auf die Erhebung, Speicherung und Löschung dieser Daten irgendeinen Einfluss zu nehmen.
Die Studie zeigt, dass staatlich geförderte und organisierte Denunziation auf keinen Fall zum systematischen Ermittlungsansatz gegen betroffene Bürger werden darf. Sie zeigt weiter, dass die registerrechtlichen Folgen eines Ermittlungsverfahrens, das letztlich einen unhaltbaren Tatvorwurf zum Ansatz hatte, eine für den Betroffenen unerträgliche Datenspeicherung nach sich zieht. Statt verantwortungslose Denunziation durch anonyme Anzeigen staatlich zu fördern sollte das Gegenteil erfolgen: Der Gesetzgeber sollte Vorsorge dafür treffen, dass die Ermittlungsbehörden besondere Vorsicht gerade gegenüber solchen Anzeigeerstattern walten lassen, die nicht bereit sind, für ihre Behauptungen Verantwortung zu übernehmen. Diese Überlegung ist im Übrigen nicht neu. Sie ist nur zwischenzeitlich – leider – aufgegeben worden: Noch in den vom 01.12.1966 stammenden Richtlinien für das Strafverfahren heißt es in Nummer 11:
„Namenlose Anzeigen sind mit besonderer Vorsicht zu würdigen. Schlechthin unbeachtet dürfen sie nicht bleiben, weil sie zuweilen wichtige Anhaltspunkte für die Ermittlung von Verbrechen und Vergehen geben.“
In der seit Januar 1977 geltenden Fassung sind die oben durchaus einmal – zu Recht – geäußerten Bedenken völlig weggefallen. Es heißt in der jetzigen Nummer 8 der RiStBV, der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren:
„Auch bei namenlosen Anzeigen prüft der Staatsanwalt, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. “Dies zeigt, dass auch durch die Veränderung bloßer Richtlinien ein bedenklicher Verlust von Rechtskultur unauffällig herbeigeführt werden kann.
Die Studie sollte dazu beitragen, den Ermittlungsbehörden wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass anonyme Anzeigen zunächst einmal mit größter Vorsicht und Zurückhaltung zu behandeln sind. Sie sollte weiterhin zu bedenken geben, dass die Strafverfolgung von Anzeigeerstattern, die bewusst unwahre und verleumderische Angaben machen, ein gewichtiger rechtsstaatlicher Ansatz und ein wichtiges Korrektiv bei der Veranlassung von Ermittlungen ist. Eine staatliche Garantie für Anonymität hingegen unterläuft dieses Korrektiv.
Schließlich muss bei den Staatsanwaltschaften erneut darauf hingewirkt werden, dass vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens das Vorliegen eines Anfangsverdachtes detailliert und sorgfältig geprüft wird. Es kann nicht ausreichen, nach weitergehenden Ermittlungen ein Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachtes einzustellen, wenn von vorneherein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gem. § 152 StPO nicht angezeigt und damit rechtlich unzulässig gewesen ist.

Zentrale und unmittelbar aus den Ergebnissen der Studie abzuleitende Forderung ist allerdings folgende:
Das vom Land Niedersachsen betriebene Pilotprojekt sollte schnellstmöglich eingestellt werden. Alle anderen Bundesländer müssen dringend davor gewarnt werden, ein rechtsstaatlich derartig gefährliches Instrument zu übernehmen und aufzubauen.

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